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Crime in the City

Wie man eine Chance auf die Fortentwicklung des Rechts verpassen kann

Von Prof. Dr. Theo Langheid, Universität Salzburg

Schon mehrmals musste sich die geneigte Leserschaft dem Problem „Sex in the City“ widmen (einmal ging es um die Übertragung des Papillomavirus beim ungeschützten Verkehr in einem Auto, wofür dessen Haftpflichtversicherer einzustehen haben sollte, zum anderen ging es um Sex auf der Motorhaube eines Mercedes (mit erstaunlichen Schäden an beiden Außenspiegeln), wofür der Parkhausbetreiber haften sollte (wegen unterlassenem Voyeurismus = Beobachtung der Tat und Nachverfolgung der Täter)). Im Fall des OLG Dresden ging es um eine ganz normale Schlägerei im Straßenverkehr (Beschluss vom 29.06.2023, 4 U 2626/22). Nach einer verbalen Auseinandersetzung kam es zu der Verletzung des Geschädigten, nachdem dieser sich zu dem Fahrzeug des Versicherungsnehmers begeben, dort mit der flachen Hand gegen die Hecksäule geschlagen und sich wieder abgewandt hatte. Der Versicherungsnehmer eilte dem Geschädigten nach, fasste ihn an der Schulter, drehte ihn zu sich hin und schlug dem schwerbeschädigten Verkehrsteilnehmer ins Gesicht und brachte diesen dadurch zu Fall. Um der Sache Kontur zu geben, sind die nachfolgend geschilderten Verletzungen fiktiv: Der Geschädigte erlitt durch den Faustschlag eine Nasenbeinfraktur und durch den anschließenden Sturz drangen Splitter seiner Brille in sein rechtes Auge, was daraufhin erblindete.

Das OLG Dresden hat die Klage des VN auf Deckung wegen Vorsatz abgewiesen und darauf hingewiesen, dass, wer sich so verhält wie dieser VN, regelmäßig eine schwere Gesundheitsbeschädigung in Kauf nimmt mit der Folge, dass sich sein Haftpflichtversicherer auf den Leistungsausschluss des Vorsatzes berufen kann. Nach allgemeiner Definition bedeutet Vorsatz „das Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolgs“. Das bedeutet, dass der Handelnde den rechtswidrigen Erfolg seines Verhaltens voraussehen und trotzdem den Willen haben muss, sich entsprechend zu verhalten. Der Vorsatz muss nicht nur die schädigende Handlung umfassen, sondern auch deren Folgen. Das OLG sieht selbst, dass ein Faustschlag „im Regelfall“ eher nicht zu einer derart schweren Verletzung führen kann; hier aber habe der Versicherungsnehmer selbst angegeben, er habe gemerkt, dass mit seinem Kontrahenten „etwas nicht in Ordnung“ sei, was eine Bejahung der vorsätzlichen Herbeiführung sämtlicher Handlungsfolgen rechtfertige.

Dieser Fall hätte sich gut geeignet, das Prinzip der gemischt fahrlässig/vorsätzlich herbeigeführten Tatfolgen anzuwenden. Die Vorsatztat selbst, also die vorsätzliche Handlung einschließlich ihrer vorhersehbaren Folgen, ist nach allgemeiner Meinung vom Deckungsanspruch ausgeklammert, nur der unerwartete und unabsehbare Exzess kann gedeckt sein. Voller Deckungsschutz für sämtliche Folgen einer Vorsatztat sollte nie gewährt werden, wenn nur eine von mehreren Handlungsfolgen nicht vom (bedingten) Vorsatz des Täters umfasst wurde; wenn also auch nur eine von mehreren Verletzungsfolgen vom Täter nicht vorhergesehen oder nicht in Kauf genommen wurde (Beispiel: Täter schlägt dem Opfer ins Gesicht, das daraufhin einen vorhersehbaren Kieferbruch und eine unvorhersehbare Hirnblutung erleidet; die Rechtsprechung gewährt dann überflüssigerweise Deckung auch für den vorsätzlich verursachten Kieferbruch; zu all diesen Konstellationen vgl. Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl. § 103 Rn. 10 f. mit einer Darstellung der Diskussion). Gegen das Prinzip, dass die vorsätzlich verursachten Folgen der Tathandlung vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, während nur die nicht absehbaren Folgen gedeckt sind, kann weder ein Beweisproblem sprechen noch das vor langer Zeit mal geltende „Alles oder nichts“-Prinzip. Bei mehraktigen Tathandlungen wird dem zugestimmt (OLG Hamm NVersZ 2001, 134). Es ist aber kein Unterschied zwischen ein- und mehraktigen Handlungen erkennbar, wenn jeweils multiple Verletzungen eingetreten sind, von denen ein Teil vorsätzlich und andere nicht vorsätzlich herbeigeführt wurden. Es ist gleichgültig, ob diese Folgen durch eine Handlung (Faustschlag) oder durch zwei Handlungen (Faustschlag und Fußtritt) verursacht wurden.

Diese Grundsätze gelten aber auch andersherum: wenn der Täter nur einen Teil der Tatfolgen billigend in Kauf genommen hat, kann das den VR nicht von den fahrlässig herbeigeführten Folgen entlasten. Also keine Deckung für den Nasenbeinbruch, wohl aber Deckung für die Erblindung. Im Einzelfall kann die Abgrenzung schwierig sein, aber das Gericht kann sich ja jederzeit der Hilfe von Sachverständigen bedienen, die die fahrlässigen von den vorsätzlichen Handlungsfolgen abgrenzen können. Schade, dass das OLG Dresden diesen Fall nicht genutzt hat, sich mit der Theorie vom bloß partiellen Vorsatzausschluss zu befassen.

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